Derry - Londonderry

Thursday, June 23, 2016
Derry, Northern Ireland, United Kingdom
Gruss aus Derry! (oder ist es Londonderry?)

Am fruehen Morgen ging es zurueck nach Coleraine und in den Zug nach Londonderry oder kurz Derry, zweitgroesste Stadt Nordirlands.

Derry ist knapp 1500 Jahre alt, wurde aber zu Beginn des 17 Jahrhunderts abgerissen und komplett neu aufgebaut. Das war die Zeit als die Englaender ihre Herrschaft ueber Irland verfestigten und grosse Teile des Landes in Getreidefelder und Kuhwiesen umwandelten, zum Export bestimmte Gueter. Londonderry wurde nach damals modernsten Erkenntnissen neu erbaut, gerade Strassen und eine breite solide Festungsmauer. Diese ist die einzige erhaltene Stadtmauer in Irland und Derry wurde dank ihr nie erobert. Londonderry war eine Stadt fuer Anglikaner, Immigranten aus England und spaeter im 17 Jahrhundert wurde die Stadt von einer katholischen Unabhaengigskeitsarmee angegriffen, diese musste aber erfolglos wieder abziehen. Aus dieser Zeit stammt der "Never surrender" ("Niemals aufgeben") Slogan der Royalisten.

Im 19 Jahrhundert in der industriellen Revolution, wuchs die Stadt kraeftig und nach und nach kamen die Katholiken zu einer Mehrheit, heute ist die Stadt zu fast 70% katholisch (die Katholiken bilden die arme Arbeiterschicht). Den Anglikanern gefiel das nicht und durch kreative Wahlbezirke konnten die Katholiken nie mehr als 40% im Stadtparlament erzielen. Das wiederum gefiel den Katholiken nicht, und als in den 60er Jahren Buergerrechtsbewegungen entstanden war Londonderry (der anglikanische Name, Katholiken nennen es Derry, das London wird aus dem Namen gestrichen) einer der ersten Staedte die gleiche Buergerrechte fuer Katholiken forderte. Die Regierung mit Hilfe der Polizei, zu 90% anglikanisch, fuhr einen harten Konfrotationskurs (unterstuetzt von anglikanischen Milizen), keine einzige Demonstration wurde jemals genehmigt. Schliesslich erklaerten die Katholiken "Free Derry" in drei Stadtvierten, fuer mehrere Jahre hatte die Regierung keine Herrschaft in diesen von der IRA kontrollierten Gebieten. Die britische Regierung entsandte schliesslich die Armee nach Nordirland, zunaechst von den Katholiken begruesst in der Hoffnung, dass sie eine neutrale Position einnehmen wuerde. Zugleich gab es aber einen "Patriot Act", Gefaegniss ohne Haftbefehl oder Verurteilung, keine gerade deeskalierende Massnahme. Im Januar 1972 gab es eine Demonstration gegen diese Massnahme bei der britische Fallschirmspringer in Bogside das Feuer auf unbewaffnete demonstrierende Zivilisten eroeffneten (Bogside ist das aelteste der katholischen Viertel, gerade ausserhalb der Innenstadt auf einem Gebiet was urspruenglich einmal ein Fluss war (Derry lag zu der Zeit auf einer Insel)). 14 Katholiken starben beim Bloody Sunday, die englische Untersuchungskommission sah die Schuld bei den Terroristen, die die Soldaten angegriffen haben, und erklaerte die Armee fuer unschuldig und ihre Gegenmassnahmen fuer gerechtfertigt. Kurze Zeit spaeter loesste die Armee "Free Derry" auf und fuer mehr als 20 Jahre war Derry miitarisiert. In 1998 eroeffnete die britische Regierung eine zweite Untersuchungskommission, die 2010 zu dem Urteil kam, dass die Demonstrierenden unbewaffnete Zivilisten waren, die sich nichts zu Schulde haben kommen lassen und dass der Gewalteinsatz des Militaers total ungerechtfertigt war (die Schuld wurde auf einen Offizier und ein paar gemeine Soldaten abgeladen).

Heute ist die Stadt relativ friedlich, es gibt kein Militaer mehr, die EU hat eine Friedensfussbruecke ueber den Fluss gebaut (und renoviert im Moment das "Free Derry" Museum in der Bogside. Eine Friedenslinie gibt es hier auch, zwischen einem anglikanischem und einem katholischen Viertel (und im Gegensatz zu Belfast gibt es keinen Durchgang). In katholischen Vierteln weht die irische Fahne, in anglikanischen die nordirische und der Union Jack (und die Strassenbordsteine sind in den Union Jack Farben gestrichen).

Nordirland hat zu einem Grossteil fuer einen Verbleib in der EU gestimmt, die Katholiken mit ueberwaeltigender Mehrheit (schliesslich sorgt die EU fuer offene Verbindungen nach Irland), die Anglikaner ueberraschenderweise auch. Die Nordiren werden jetzt wohl versuchen sich mit Irland zu vereinigen, aber nicht alle Anglikaner werden das unterstuetzen und es besteht eine gute Chance dass die Gewalt hier wieder ausbricht, diesmal von Ulster-Milizen, die vermutlich nicht viel Unterstuetzung aus dem Heimatland erwarten koennen. Das Pfund ist ja jetzt abgeschmiert, zu spaet fuer mich, nun geht es zurueck nach Irland.

Gruss
Ralf
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2025-05-22

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